Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: English
Obwohl wir begeisterte Zugfahrer sind und Fliegen so weit wie möglich vermeiden, haben wir eine fast ungesunde faszination für verlassene Flughäfen. Die Landschaft in Ostdeutschland ist übersät mit Überresten der Luftwaffe aus dem dritten Reich, genauer gesagt mit denen, die die sowjetische Armee nach 1945 übernommen hat. Viele von ihnen wurden im Laufe der Jahre abgerissen und in Solaranlagen umgewandelt – der Flugplatz Alt Daber (Wittstock/Dosse) bildet da keine Ausnahme – obwohl noch genug Überbleibsel übrig sind, die noch erkundet werden können.
Inhaltsverzeichnis
Wittstock/Dosse: Ein geschichtlicher kurzüberblick
Wittstock Dosse, eine der ältesten Städte in Brandenburg, hat seine Ursprünge in einer slawischen Siedlung. Zum ersten Mal wurde sie in einer Stiftungsurkunde für das Bistum Havelberg im Jahr 946 erwähnt. 1248 erhielt Wittstock die Stadtrechte von Stendal verliehen. Der Name der Stadt war anfangs “Wizoka,” später wurde er zu “Witzstock” geändert und stammt vom altpolabischen Wort “vysoka,” was “die Hochgelegene” bedeutet und auf die Gründung der Wittstocker Burg im Jahr 946 hinweist. Im Laufe der Zeit gewann Wittstock an Bedeutung und entwickelte im Jahr 1251 sein eigenes Stadtsiegel.




Im Laufe seiner Geschichte sah sich Wittstock verschiedene Herausforderungen ausgesetzt. 1636, während des Dreißigjährigen Krieges, fand die Schlacht bei Wittstock statt, bei der die Schweden über kaiserliche und sächsische Truppen triumphierten (die Stadt Wittstock eröffnete 2012 ein fantastisches Museum auf dem ehemaligen Schlachtfeld, um an die Schlacht zu erinnern).
Im Jahr 1716 zerstörte ein verheerendes Feuer einen erheblichen Teil der Stadt. Im frühen 19. Jahrhundert wurde Wittstock (genauer gesagt im Jahr 1812) während des Krieges gegen Napoleon zur Festung erklärt. 1885 wurde die Stadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen, was Transport und Entwicklung erleichterte. Wittstock hatte auch bis 1939 eine relative große jüdische Gemeinschaft, mit einer Synagoge, die 1857 erbaut wurde.
Flugplatz Alt Daber 1938 – 1945
Trotz eines Lazaretts während des Ersten Weltkriegs hatte Wittstock bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs keine bemerkenswerten militärischen Einrichtungen. Als die Nazis an die Macht kamen, richtete die SA fast sofort ein Konzentrationslager – das KZ Alt-Daber – in einem ehemaligen Lungensanatorium ein, das zuvor als Kinderheim genutzt wurde. Das Lager wurde im selben Jahr geschlossen, und mehr als die Hälfte der Insassen wurde ins KZ Oranienburg verlegt.





Der Flugplatz Alt Daber wurde 1934 als “Fliegerhorst Wittstock” als Segelflugplatz eingerichtet und wurde erst 1938 erweitert und in eine Fallschirmjäger-Ausbildungsstätte umgewandelt. Im Gegensatz zu anderen Flugplätzen, die später für unterschiedliche Zwecke genutzt wurden, wurde der Flugplatz Alt Daber von Anfang an speziell für die Ausbildung von Fallschirmjägern entworfen und gebaut – und wurde erst 1939, wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, fertiggestellt.






Aus technischer sicht war der Flugplatz Alt Daber relativ unscheinbar. Der Fliegerhorst hatte lediglich 2 Flugzeughangars und eine große Wartungshalle sowie einige kleinere technische Gebäude und ein Heizkraftwerk. Dagegen verfügte der Flugplatz Alt Daber über einen sehr großen Kasernenkomplex.






Da es hier keine echte Notwendigkeit gab, eine Staffel zu stationieren – daher nur die 2 Hangars – lag die Priorität darauf, eine große Ausbildungs- (und Wohn-) Anlage für die Fallschirmjäger zu errichten. Die Kasernen (leicht erkennbar auf Luftaufnahmen aus der Zeit) wurden in drei großen Abschnitten gebaut, wobei die beiden größten für die Wohnräume vorgesehen waren, während der kleinere als Verwaltungsblock diente. In diesem Teil des Flugplatzes befanden sich auch die Küchen, die Mensa, das Offizierscasino und der Fuhrpark.





Der nördliche Abschnitt des Flugplatzes bestand aus der Wartungshalle, einem Lagergebäude mit direktem Bahnanschluss, dem Flugkontrollturm und Verwaltungsgebäude, einem “Trockenturm” zum Aufhängen und Trocknen der Fallschirme sowie einer Packhalle (zum Verpacken der getrockneten Fallschirme).





Das Hauptverwaltungsgebäude hatte auch eine interessante Besonderheit – der gesamte Keller wurde als unterirdisches Kino gebaut, mit Platz für 200 Personen.
Flugplatz Alt Daber hatte wie viele Flugplätze der Zeit nur eine Graspiste, etwa 1200 x 500 Meter lang. Neben der Ausbildung der neuen Luftwaffe-Fallschirmjäger wurde Alt Daber auch für die Schulung von Militärseglern genutzt, die bei der Militärführung recht beliebt waren und sich in den frühen Kriegsphasen als ziemlich erfolgreich erwiesen.





Ab Ende 1942 waren kurzzeitig mehrere Luftwaffe-Staffeln in Wittstock stationiert, darunter die III/Kampfgeschwader 4, das IV/Jagdgeschwader 301 (mit der “neuen” Messerschmitt Bf 109 G) sowie das I (Pz.) / Schlachtgeschwader 9, das mit Focke-Wulf Fw 190 ausgestattet waren die mit sogenannten “Panzerblitz” -Raketen bestückt wurden. Das Schlachtgeschwader 9 wurde als letzter verzweifelter (und erfolgloser) Versuch eingesetzt, die vorrückenden sowjetischen Panzer vor Berlin zu stoppen.





Flugplatz Alt Daber Video
Herbert Gratzy
Wir machen jetzt einen kurzen Umweg, um kurz über Herbert Gratzy zu sprechen, einen der frühen Pioniere der Fallschirmjäger:
Herbert Wilhelm Josef Gratzy, Edler von Wardenegg, wurde am 3. Mai 1893 in Laibach, Österreich, geboren. Er wurde zwischen 1909 und 1912 an einer Kadettenschule in Graz eingeschrieben und besuchte dann von 1912 bis 1914 die Militärakademie, die er mit dem Rang eines Leutnants abschloss.
Zu Beginn wurde Herbert Gratzy als Zugführer einer Ersatzstaffel in Marburg eingesetzt, um neue Rekruten auszubilden, bevor er im Dezember 1914 an die Ostfront (Karpaten) versetzt wurde. Gratzy überlebte den Krieg und trat Ende 1918 der neu formierten österreichischen Volkswehr bei, bevor er 1920 dem österreichischen Bundesheer beitrat.


Oben: Eine Postkarte, die am 5. April 1940 vom Fliegerhorst Wittstock Dosse verschickt wurde. Der Text lautet: Lieber Joseph, vielen Dank für deine Karte, und es tut mir leid, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich hatte deine Karte verlegt. Es geht mir immer noch gut. Ich bekomme immer noch Post aus Tschenkowitz*. Nun, Sepp, viele Grüße von deinem alten Freund Fritz.
*Tschenkowitz (oder Čenkovice) ist ein kleines Dorf in Tschechien, nahe der südlichen Polnischen Grenze, das bis 1945 hauptsächlich von ethnischen Deutschen bewohnt war. Nach dem Krieg wurde die Bevölkerung zwangsumgesiedelt.
Im Jahr 1935, nachdem er bereits einige Jahre zuvor zum Major befördert worden war, wurde Gratzy zum Kommandanten einer Fliegerabwehr-MG-Kompanie ernannt. Im selben Jahr begann Herbert Gratzy seine Fallschirmspringer Karriere – seinen ersten Sprung nahm er am 19. Juli auf und erhielt im April 1936 offiziell die Erlaubnis, sich an öffentlichen Fallschirmsprungaktivitäten zu beteiligen. Im selben Jahr gründete Gratzy die “Fallschirmspringergruppe Wien Nr. 71” mit Mitgliedern aus seiner Flugabwehrkompanie. Gratzy diente als Gruppenleiter und Fallschirmsprung-Ausbilder.
Die “Springergruppe 71” übernahm die Verantwortung für die Entwicklung des militärischen Fallschirmsprungdienstes mit eigenen Mitteln, was Gratzy fast in den Bankrott trieb. Im Jahr 1937 veröffentlichte Gratzy das Lehrbuch “Kamerad Fallschirm”, in dem er bedeutende militärische Anwendungen für Luftlandeeinheiten beschrieb.


Am 1. Dezember 1937 wurde Major Gratzy zum Fliegerregiment 2 in Zeltweg, Österreich, versetzt, wo er zum Kommandanten der Luftwaffen-Waffenkompanie ernannt wurde. Nach der Annexion Österreichs in das Deutsche Reich am 14. März 1938 wurde Gratzy Offizier in der deutschen Wehrmacht. Er diente im 1. Bataillon des 1. Fallschirmjägerregiments, wo er am 1. April 1939 zum Oberstleutnant befördert wurde. Zwei Monate später wurde er zum Kommandanten des 1. Bataillons des 1. Fallschirmjägerregiments ernannt.
Am 10. November 1939 wurde er zum Kommandanten der Fallschirmschule Wittstock am Flugplatz Alt Daber. Seine Amtszeit als Kommandant in Wittstock wurde jäh unterbrochen, als er am 18. Januar 1940 bei einem Fallschirmsprungunfall ums Leben kam. Gratzy hatte anscheinend mit verzögerter Fallschirmöffnung experimentiert und aufgrund einer Fehlberechnung und fehlerhafter Fluginstrumente, öffnete er seinen Fallschirm zu spät und wurde beim Aufprall getötet.
Eine kleine Gedenkstätte für Herbert Gratzy wurde neben dem Flugplatz in Alt Daber errichtet, und scheinbar wurde sie entweder kürzlich hinzugefügt oder jemand kümmert sich regelmäßig darum, denn das Gras um sie herum war bei unserem besuch frisch gemäht.
Flugplatz Alt Daber und die Sowjet Armee (Аэродром Витшток) 1945 – 1994
Nachdem das verbleibende Personal den Flugplatz Alt Daber evakuiert hatte übernahm die Rote Armee Alt Daber am 3. Mai 1945.





Die Sowjets begannen praktisch sofort damit, ihre eigene Luftwaffe in Alt Daber zu stationieren, aber es dauerte bis 1952, bis sie eine 2500 Meter lange asphaltierte Landebahn errichteten. Mehrere Jagdfliegerverbände wurden in Wittstock stationiert, darunter das 33. Jagdfliegerregiment PVO, das unter anderem mit der MiG-21F ausgestattet war. Mit dem Bau einer festen Landebahn und dem Einsatz neuerer Kampfflugzeuge begannen die Sowjets auch damit, Flugzeugschutzvorrichtungen zu bauen und in der Nähe des Flugplatzes Alt Daber (Аэродром Витшток) Flugabwehrraketen zu stationieren .







Die Sowjets haben im Grunde alles übernommen, was die Nazis gebaut hatten, und nahmen nur leichte Modifikationen an einigen der ursprünglichen Gebäude vor. Die Fallschirm Packhalle wurde in etwas umgewandelt, das an eine Autowerkstatt oder Fahrschule erinnert – an den Wänden kann man noch die reste von Deutschen Straßenschildern und Verkehrsregeln erkennen. Der Trockenturm wurde auch weitgehend unverändert gelassen, die originale Deckenhalterungen / Löchern sind noch intakt.







Die Sowjets haben eine “winzige” Stadt mit 15 vierstöckigen Apartment Blöcken am westlichen Ende der Kasernen gebaut. Ich bin mir nicht sicher, ob man sich glücklich schätzen konnte, in so einer der Wohnungen zu leben, da sie alle doch sehr sehr winzig sind. Die sowjetische Armee zog sich letztendlich am 20. Juni 1994 aus Wittstock/Dosse zurück und übergab das Gelände an die deutsche Regierung.






Flugplatz Alt Daber 1994 – 2022
Die deutsche Regierung hatte zunächst geplant, den Flugplatz Alt Daber als Ausbildungsinstitut für die Armee und die Luftwaffe wieder zu aktivieren, aber laufende Rechtsstreitigkeiten gegen die fortgesetzte Nutzung der Wittstock-Ruppiner Heide als militärisches Versuchsgelände verzögerten alle Pläne erheblich. Die Pläne wurden schließlich aufgegeben, und die Luftwaffenbasis wurde als Rennstrecke und Veranstaltungsort genutzt. Wie bei vielen ehemaligen Flugplätzen wurde ein großer Teil des Flugplatzes Alt Daber (insbesondere die Start- und Landebahn) in ein Solarfeld umgewandelt – damals eine der größten in Deutschland.




Im Jahr 2014 begann die Stadt Wittstock (mit Hilfe erheblicher EU-Investitionsmittel), große Teile des Flugplatzes Alt Daber abzureißen, da geologische und Umweltuntersuchungen erhebliche Spuren von Asbest gefunden hatten. Der Abriss der großen sowjetischen Apartmentblöcke am südwestlichen Ende begann 2022, und bis Juni 2023 wurden alle bis auf zwei Blöcke abgerissen.



Flugplatz Alt Daber (Wittstock/Dosse) Heute – 2023
Das Hauptverwaltungsgebäude, die beiden Flugzeughangars, die ehemalige Feuerwache und das Wartungsgebäude wurden unter Denkmalschutz gesetzt, und es gibt (bis jetzt) keine Pläne, sie abzureißen und durch Solarpaneele zu ersetzen. Von den anderen Gebäuden bleibt nur noch wenig übrig, und es ist fraglich, welchen Nutzen der “geschützte Status” hat, wenn nichts unternommen wird, um sie zu sichern. Angeblich sind die Eingänge zum unterirdischen Kino eingestürzt und der Keller mit Wasser geflutet, diesbezüglich gibt es aber widersprüchliche informationen. Ein einsamer Lenin beacht noch den Eingang zum Verwaltungsgebäude.





Der deutsche Staat, das Land Brandenburg, und die Stadt Wittstock teilen sich die Eigentumsrechte am Flugplatz Alt Daber (Wittstock/Dosse)- Nachdem da Gelände so lange vor sich hin vegitierte, sind die Gebäude Zufluchtsorte für mehrere bedrohte und geschützte Arten (Fledermäuse, Reptilien und Vögel) geworden.





Das Land Brandenburg hat mehrere große Abschnitte der verlassenen Flugplatzes als sogenannte “Ausgleichsflächen” ausgewiesen – das bedeutet, dass, wenn der Staat aufgrund von staatlichen Infrastrukturprojekten Wälder fällen muss, der entsprechende Verlust in den ausgewiesenen Gebieten wieder aufgeforstet werden muss. Die Flächen, die nicht für die Aufforstung vorgesehen sind, sollen später an private Investoren verkauft werden. Obwohl es traurig ist, das die historischen Gebäude langsam verfallen, ist es doch schön, dass die Natur in dem Gebiet zurückkehrt – und ich denke, die meisten würden zustimmen, dass es doch besser ist wenn Fledermäuse und Eidechsen auf dem ehemaligen Flugplatz leben, als hunderte sowjetische Soldaten.
Flugplatz Alt Daber Adresse
Flugplatz Alt Daber
Flugplatzallee, 16909 Wittstock/Dosse
53.197350, 12.516054